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             Ungebundene Religiosität 

  

                                   von Guenther Dewindinat  

(1) Atheisten, Agnostiker

 (2) Der Gott der Bibel

      (3) Organisierte Religion als spaltende Kraft

       (4) Glaubensfixierung verhindert Verbrüderung

      (5) Ungebundene Religiosität

       (6) Buddha und Jesus

        (7) Nächstenliebe versus Verdammung

       (8) Biblischer Ursprung des Antisemitismus

        (9) Jesu Hinrichtung ein Opfertod?

      (10) Willensfreiheit

       (11) Warum Menschen an Religion hängen?

 

(1) Die Empfänglichkeit für etwas Größeres, das Staunen und fragende Suchen nachdem wer wir sind ist der Beginn des Religiösen wie des Philosophischen. Sie gehören eigentlich zusammen. Doch die Buch-Religionen des Nahen Ostens brachten die Glaubensfixierung und die Dogmatik in die Welt. Irgendwann hatte ich es satt mir Religiosität absprechen zu lassen, bloß weil ich den Gott der monotheistischen Religionen für eine menschliche Erfindung halte. Nicht jeder, der sich zu keiner organisierten oder vorgegebenen Religion bekennt, ist deshalb areligiös. Er ist kein Anhänger einer bestimmten Religion, kann aber dennoch empathisch gegenüber anderen und empfänglich für die Zugehörigkeit zu einem größeren Ganzen sein. Ich unterscheide zwischen den Religionen (Glaube an ein Buch, Fixiertheit) und ungebundener Religiosität (Ganzheitsempfinden, Verbrüderung). Religionen sind erstarrte Religiosität, etwas totes. Ich verwende den Begriff "Religiosität" im Sinne von Humanität oder Sensitivität gegenüber einem größeren Ganzen. Man könnte natürlich auch Spiritualität sagen, ziehe aber Religiosität vor, weil sie neben bloßer Geistigkeit auch Emotion und Sinnlichkeit einschließt. 

Etikette wie Atheist oder ungläubig beinhalten Diffamierung und tragen nicht zum Verständnis der Fronten bei. Ich bevorzuge "nicht-gläubig" statt ungläubig, denn letzteres beinhaltet moralische Bewertung, die hier nicht hingehört. Atheismus gilt als anstößig, weil er die religiöse Tradition infrage stelltobwohl sich Atheisten mit dem Thema Gott meist intensiver auseinandergesetzt haben als gewöhnliche Gläubige. Agnostiker ist milder und, weil weniger bekannt, nicht negativ besetzt. Für Agnostiker ist die Frage ob es einen Gott gibt nicht wissbar oder zu klären. Das muss Gläubige nicht stören, weil Glaube keine rationale Gewissheit braucht. 

 



 



Atheisten lehnen alles Übernatürliche (Gott, Götter, Magie, Unerklärliches) ab, weil es nicht mit den Naturgesetzen vereinb
ar sei. Ich teile das so pauschal nicht. Sie sind aber deshalb nicht notwendig ohne Sinn für Menschlichkeit und Anstand. Empathie für das Leben und ein Zugehörigkeitsempfinden zu einem größeren Ganzen können Atheisten genauso haben oder nicht haben wie Gläubige. Aussprüche wie, wenn es keinen Gott gibt ist alles erlaubt (Dostojewski), lassen sich leicht widerlegen. Denn wer nur aufgrund göttlicher Autorität moralisch gut sein kann ist in Wirklichkeit überhaupt nicht gut. Er gehorcht bloß oder ordnet sich unter aus Angst vor Strafe. In der Bibel wird gut sein meist mit Belohnung im Jenseits beworben, was völlig falsch ist. Gut sein muss um seiner selbst willen erfolgen. Lohn als Motiv verfälscht es. Und Glauben an einen vorgegebenen Gott ist noch keine Versicherung gegen Unmoral. Es gab nie eine Zeit in der aufgrund von Gläubigkeit friedliche Idylle herrschte, die durch die Aufklärung angeblich beendet wurde. Menschen haben stets mit und ohne Gott gemordet. Meist wurde er dem Stammesdenken (modern Nationalismus) bloß einverleibt ohne Konsequenzen für ethisches Verhalten daraus zu ziehen. Von Gottes Gnaden, oder Gott mit uns hießen dann die Parolen. Auch heute noch legimitieren sich Monarchen und viele Diktatoren mit Gott. Natürlich ist Atheismus allein noch kein Garant für ethisches Verhalten, ebenso wenig wie es bloßes Berufen auf einen Gott ist. Der Begriff Atheismus ist zunächst nur Gegensetzung und noch keine mit Inhalt gefüllte Lebensanschauung. 



Ob es einen Gott gibt ist für Agnostiker nicht zu klären. An sich richtig, doch die Götter der monotheistischen Religionen widerlegen sich selbst, schon weil es nur einen geben kann. Aber jede hält den ihren für den einzig wahren. Ein glaubhafter Gott müsste unabhängig von Religionen und frei von Verehrungssucht sein, weil es ihm unwürdig wäre. Nur gegenüber einem solchen
bin ich Agnostiker. Vielleicht ist er auch nur ein poetischer Ausdruck für den höchsten Wert im Humanismus und keine Realität an sich, wie Erich Fromm einmal sagte?

Ein Kuriosum ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Pascal'sche Wette, die im Kern besagt, im Zweifel sei es klüger an Gott zu glauben, denn gibt es ihn erwartet einen Gewinn (Seligkeit, Himmel). Gibt es ihn nicht, dann hätte man eh nichts verloren. Wenn man aber nicht glaubt und es gibt ihn, dann sei man verloren (Verdammnis, Hölle). Weshalb man die Wette nicht verlieren kann wenn man an ihn glaubt. Aber diese Wette geht nur auf wenn man proforma Glauben wie echten wertet und zudem voraussetzt ein Gott würde es nicht merken. Glaube als Taktik sozusagen. Auch würde niemand seinen Glauben so profan Kosten-Nutzen orientiert begründen wollen. Man könnte fragen, würde man wirklich nichts verlieren, wenn man an ihn glaubt und es ihn nicht gibt? Man denke an unnötige Ängste, an die Unterdrückung von Lebensfreude aufgrund von Dogmen und die verlorene Zeit dadurch. Und was soll man von einem Gott halten der sich durch einen unaufrichtigen oder taktischen Glauben täuschen lässt? 

Die Wissenschaft vertritt mehrheitlich den Standpunkt, die Nichtexistenz Gottes ist plausibler, weil für seine Existenz eine starke, nachprüfbare Evidenz fehlt. Auch dies ist mit Agnostik vereinbar. Von der Kirche ist bekannt, dass sie wissenschaftliche oder philosophische Erkenntnisse die nicht in ihr Weltbild passen solange bekämpft, bis es nicht mehr möglich ist sie zu leugnen ohne sich zu blamieren. Die bekanntesten Beispiele aus der Geschichte hierfür sind G. Bruno und G. Galilei. Bruno behauptete das Universum sei unendlich, auch zeitlich ohne Anfang und Ende und es gäbe in ihm unzählige andere Welten (einen Mittelpunkt sowieso nicht), die ebenso von intelligenten Wesen bewohnt sein könnten. Dem Klerus war das zu viel, vor allem weil er darin keinen Platz für die Schöpfung und das Jüngste Gericht sah. Und überhaupt wäre die Einzigartigkeit des Menschen und der Erde vor Gott aufgegeben. Für Bruno bedeutete dies lange Kerkerstrafe und schließlich den Tod auf dem Scheiterhaufen. Im Jahr 2000 wurde seine Hinrichtung vom Papst sehr spät als Unrecht erklärt, ohne ihn damit jedoch völlig zu rehabilitieren. Galilei kam noch einmal davon, weil er seine kopernikanische Aussage, die Erde drehe sich um die Sonne, nur als Hypothese, nicht aber als Tatsache vertreten durfte. Dem kann man zustimmen, wenn die Alternative lebenslanger Kerker oder gar Scheiterhaufen heißt. Er kam unter Arrest wurde aber wohl nicht gefoltert. Erst 1992 wurde er rehabilitiert.

Neuerdings anerkennt auch der Vatikan die Evolution, freilich indem er sie der Schöpfung einfach nachordnet. Aber warum sollte sich ein Gott des Zufalls bedienen, wenn er schon weiß was er will? Das haben sie nicht gründlich durchdacht. Schöpfungsmythen anderer Kulturen verstehen sich auch nicht als Konkurrenz zur Wissenschaft, weil sie eben Mythen sind. Aber auch Wissenschaft kann zu weit gehen, wenn sie etwa den Urknall der nur ein Erklärungsmodell ist, einige sagen sogar nur eine Fiktion, als bewiesen darstellt. Warum soll vorher nichts und plötzlich etwas gewesen sein? Eine künstliche Setzung, die auch nicht glaubwürdiger ist als die Schöpfungsgeschichte. Die Kirche hat damit kein Problem, sie glaubt ja auch an einen Anfang. Dann hat eben Gott geknallt! Aber lässt sich ein Anfang des Universums (Kosmos) überhaupt beweisen, oder brauchen wir ein errechenbares Ergebnis um unsere Wissenschaft zu bestätigen?

 

 

 

 

 

(2) Ein weiser Mann, dem ich in meinen jüngeren Jahren manchmal lauschte, wurde einmal gefragt ob es stimmt dass Gott uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Seine Antwort war: Ich wünschte es wäre so. Da wurde mir klar, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Dieser Gott ist deshalb so eifersüchtig und übelnehmend, weil die Menschen die ihn erfunden haben so waren. Ein Stammesgott ist nur so klug wie sein Stamm.

 

 

Dass man nicht morden, lügen oder stehlen soll sind Grundvoraussetzungen humanen Zusammenlebens. Menschen sind fähig dies mittels ihrer Vernunft zu vereinbaren. Könnten sie es nicht, dann wären sie verloren, denn das macht kein Gott für sie. Als Goldene Regel entstanden diese Grundvoraussetzungen schon sehr früh unabhängig voneinander in verschiedenen Kulturen. Was den Gott der Zehn Gebote nicht davon abgehalten hat mörderische Feldzüge gegen andere Völker anzuordnen. Jetzt verständlich, denn er war ja auch der Ausdruck der niederen Wünsche seines Stammes. Soviel zum ethischen Vorbild des Bibelgottes. Der Gott des Jesus klingt zunächst liberaler, doch bei seiner Kreuzigung ist er, zumindest nach Darstellung des NT, wieder der alte Rächende. Die Behauptung der Bibel und des Koran, dass der Mensch von vorneherein schuldig sei vor Gott, will ihm vormachen, dass er erlösungsbedürftig (nur) in ihrem Kontext sei. Es sind Schuld-Religionen, die Unterwürfigkeit verlangen. Wer das von Kindheit an eingetrichtert bekommt kann sich später nur schwer davon lösen. Aber wie kann man mit sich in Frieden kommen wenn man sich ständig schuldig fühlen soll?

Einem Gott, der von den Menschen verlangt an ihn zu glauben, ihn zu verehren und zu lieben, müsste man einen Minderwertigkeitskomplex unterstellen. Ein Wesen mit solchen Abhängigkeiten wäre doch alles andere als vollkommen. Doch die schwerwiegendste Ungereimtheit bei diesem Gottesbild ist, dass der Erschaffer dieser Welt allwissend, allmächtig, allgütig und gerecht zugleich sein soll. Wäre er das, müsste er enorm krude sein, insbesondere im Hinblick auf Naturkatastrophen, Unfälle, Krankheiten, Kriminalität oder Armut. Dinge, die einem zustoßen, ohne dass man etwas dafür kann. Sollte er uns dies im Sinne von Strafe oder Rache angedeihen lassen müsste man ihm vorwerfen, erstens selbst nicht allgütig zu sein, zweitens keine kluge Schöpfung hervorgebracht zu haben. Nun kann man an obige Attribute auch einfach glauben, wie das fromme Menschen tun, dann verzichtet man auf das Hinterfragen (Denken). Ich will das gar nicht abwerten, jedem das Seine, und ich weiß auch dass Glaube für viele Menschen einen Anker darstellt. Wenn jemand das aufrichtig so empfindet ist dagegen nichts einzuwenden solange er es ohne Absolutheitsanspruch gegen andere tut. Das befriedigt aber nicht jeden, denn der Mensch ist auch ein denkender, der hinterfragen will. Dass das Hinterfragen schon Sünde sei, gilt heute vielen aufgeklärten Menschen zurecht als nicht mehr haltbar, weil mit Strafe gedroht wird. 

Aber diesen Gott für erfunden zu halten bedeutet für mich noch nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Das heißt gar nichts Geheimnisvolles mehr gelten zu lassen. Für mich haftet dem Ganzen trotzdem ein Zauber an. Denn das Sosein der Welt bleibt auch dann ein Geheimnis, wenn man seine Entstehung restlos rational erklären kann. Beispiel: Obwohl wir chemisch-physikalisch genau wissen wie sich Feuer, Wasser und Luft zusammensetzen, bleiben sie doch durch unsere Sinne letztendlich geheimnisvoll, beinhalten einen Zauber. Die bloße physikalische Erklärung von Feuer ist nicht Feuer.  

 

 

 

 

Zusammenfassung meines Standpunkts: Die Frage nach Gott ist für mich zunächst die Frage, was verstehe ich darunter? Der Gott der monotheistischen Religionen kann es nicht sein, weil menschliche Eigenschaften auf ihn übertragen werden - und nicht die besten - die ihn eigentlich beleidigen müssten. Geliebt, gelobt und verehrt werden zu wollen wäre doch unter seiner Würde. Allein die Forderung an ihn glauben zu müssen müsste ihm schon widersprechen, denn es beinhaltet Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und eigenständigem Denken. Ein Gott der sich so verhält, wäre alles andere als weise.

Ob es darüber hinaus eine Art kosmischen Urgrund gibt, in den wir eingebettet sind und dem wir etwas bedeuten mögen ist eine unbeantwortbare Frage. Insofern bin ich Agnostiker. Jener Urgrund müsste unabhängig von Religionen sein, denn diese sind begrenzt und widersprechen sich. Ob der Kosmos mehr ist als bloße physikalische Gesetzmäßigkeit, vielleicht ein lebendiger oder spiritueller Organismus, wie Giordano Bruno meinte, ist eine uralte Frage, die sensible Menschen immer beschäftigt hat und beschäftigen wird und sich durch bloße Messbarkeit nicht entkräften lässt. Am nächsten kommt man Gott vielleicht noch wenn man sich klar macht was er nicht sein kann. Alles andere führt zu Widersprüchen oder Zirkelschlüssen.

 

(3) Organisierte Religion spaltet und trennt, wenn sie mit Absolutheitsanspruch (Ausschließlichkeit) auftritt. Warum? Weil sie die Menschen separiert anstatt sie zu verbrüdern. Wer seine Religion für die einzig wahre hält ist dogmatisch, was zu Konflikten oder Gewalt führen kann. Das Eingeschworen sein auf ein Buch ist Bestandteil dieser Sicht. Deshalb wird die Aussage Religion wird nur missbraucht dem Problem nicht gerecht. Sie kann zwar missbraucht werden, ist aber mit ihren AbsolutheitsansErglaubt das Richtigeprüchen selbst Teil des Problems. Wer religiöse Dogmen wie vom Aussterben bedrohte Tiere im Zoo schützen will, tut den Menschen die sich von ihnen emanzipieren wollen keinen Gefallen. Denn er ignoriert, dass sich Menschen weiter entwickeln können und wollen. Zumindest die Gebildeten unter ihnen. Daher ist es nötig zu erkennen, dass die Ansprüche der Religionen inklusive ihrer heiligen Schriften von Menschen gemacht sind. Sie müssen herabgeholt werden auf den Boden, um sie der Kritik zugänglich zu machen. Ein weiteres Kennzeichen von Absolutheitsansprüchen ist auch immer das Fehlen von Humor, denn dieser bewirkt innere Lockerung (Entspannung) und ein sich selbst nicht so ernst nehmen. In ihrer organisierten Form kann Religion auch kein echtes Interesse an Meinungsfreiheit haben, denn die bedeutet ja auch Religionsfreiheit oder gar die Freiheit von Religion. Weshalb der Vatikan bis heute dazu neigt Meinungsfreiheit als Relativismus abzutun. Andererseits werden Werte wie Gleichberechtigung, Freiheit, Menschenrechte und Toleranz von der Politik gern als Errungenschaften des Christentums ausgegeben. In Wirklichkeit verdanken wir sie der Aufklärung, die sie gegen den Widerstand der Kirche erkämpfen musste.

 

(4) Glauben im Sinne einer Vermutung ist ganz normal. Unser Alltagsbewusstsein ist voll davon. Vermuten ist auch ein vorläufiger Standpunkt in der Wissenschaft, der noch nicht verifiziert ist. Dann ist da der religiöse Glaube, der mit Wunsch und Hoffnung einhergeht. Meistens erwächst er aus einer allgemeinen Sehnsucht nach Geborgenheit, insbesondere in der Kindheit und im Alter. Das ist menschlich und normal. Bedenklich wird religiöser Glaube aber, wenn er zur Glaubensfixierung mit Absolutheitsanspruch oder Ausschließlichkeit wird, wie oben bereits dargelegt wurde.

 

Nehmen wir die Sache genauer unter die Lupe. Zwei Strenggläubige verschiedener Religionen (Vertreter der Ausschließlichkeit) können sich darin einigen strenggläubig zu sein. Weiter können sie nicht gehen ohne in inhaltliche Differenzen zu geraten. Könnten sie es, müssten sie  ihre jeweiligen Glaubensinhalte relativieren. Das wäre eine wahre Verbrüderung. Warum? Sie würden dann einsehen, dass das eigentliche Problem ihre Fixierung ist. Das ist so schwierig weil Menschen sich aus anerzogenen, traditionellen Bahnen befreien müssten. Das gelingt nur wenigen. Die tiefere Frage die sich hier auftut ist: Kann man religiös sein ohne Fixierung an Glaubenssätze, oder ist religiös sein an eine solche Fixierung gebunden? Ich denke nicht, denn eine Vorstellungsfixierung friert ein und macht dogmatisch. Was die Menschen trennt ist ja gerade diese Gebundenheit an Dogmen, die ihre guten Absichten konterkariert ohne dass sie es merken. Sie ist der Feind von Verständnis und Verbrüderung. Wenn sich jemand von dieser Fessel frei macht ist er der Humanität näher, ohne Bindung an eine bestimmte Religion, Volkszugehörigkeit oder Beanspruchung einer Wahrheitsendgültigkeit.

  

 

 

 

 

(5) Ungebundene Religiosität dagegen ist kein Glaube im Sinne einer Fixierung an etwas, sondern eine Befindlichkeit, ein Ganzheitsempfinden. In allem etwas Verwandtes zu sehen. Das kann man abwertend Pantheismus nennen, aber es ist viel mehr. Dazu gehört auch das ehrfürchtige Staunen über den unendlichen Raum, was uns klein macht und doch innerlich weitet. Abstrakte Modelle des Universums lassen uns sinnlich und emotional unbefriedigt. Wir ahnen etwas tieferes. Auch die Entstehung des Lebens ist geheimnisvoll, selbst wenn man sie durch Evolution erklärt. Die wissenschaftliche Erklärbarkeit lässt ein letztendliches Rätsel nicht verschwinden. Etwa wie auf einem zunächst anorganischen Planeten ein Grashalm entstehen kann, geschweige denn tierisches Leben? Das bleibt ein Mysterium, muss aber nicht zum Schluss führen, es hätte später keine natürliche Auslese gegeben, was Kreationisten behaupten. Sieht man einen Gott nicht von außen wirken, sondern innerhalb des Kosmos oder mit ihm identisch, könnte Leben potenziell auch in der Materie angelegt sein. Doch ein Mysterium bleibt es allemal.

Das Zugeständnis an einen Zauber oder etwas Geheimnisvolles ist eine Form von Ehrfurcht die nicht das Ergebnis eines Gottesglaubens oder einer vorgegebenen Religion sein muss. Und ethisches Verhalten kommt von Empathie, die aus der Sensitivität des Einzelnen gegenüber anderen erwächst. Albert Einstein (ohne ihn vereinnahmen zu wollen), der nicht gottgläubig im jüdischen oder christlichen Sinne war, neigte ebenfalls zu einer Art ungebundenen Religiosität.

(6) Bei den als religiös bezeichneten Figuren ragen zwei besonders heraus: Buddha und Jesus. Sie eint, dass sie in verschiedenen Zeiten und Kulturen primär Empathie: Mitgefühl bei Buddha und Nächstenliebe bei Jesus, in den Mittelpunkt ihrer Botschaften stellten, die ethisch anspruchsvoll und schwierig umsetzbar sind. Buddhas Lehre ist mehr philosophisch und fragt nach den Ursachen des Leidens und deren Ausrottung und kommt ohne Gottesglauben, Schuld und Sünde aus. Bedürfnislosigkeit ist nur ein Beiprodukt seiner Lehre. Er wusste, dass bloße Askese ohne Einsicht in die Zusammenhänge in eine Sackgasse führt. Deshalb plädierte er für den sogenannten mittleren Weg. Zu seiner Lehre gehörte auch die vegetarische Kost, weil das Töten von Tieren und deren Verzehr der spirituellen Entwicklung des Menschen hinderlich sei (alte indische Weisheit). Sie wurde aber nicht als Vorbedingung, sondern als Folge der Lehre verstanden. Vollendung nach ihm ist eine Art weise Heiterkeit, das Erlöschen von Begierden (Nirwana), das kein Leiden mehr erzeugen soll, weder für sich noch für andere. Das ist freilich genauso wenig garantiert wie die christlichen und islamischen Wonnen in einem Himmel. Doch ist dieses "Erlöschen" nicht auf ein Jenseits festgelegt und eine Hölle als Endstation gibt es nicht wegen ständiger Erneuerung durch Wiedergeburt. Allerdings wurde auch aus Buddhas Lehre zum Teil ein Glaube gemacht (Siehe Kloster-Buddhismus). Das hat damit zu tun, dass Botschaften sich im Laufe der Zeit verschleißen und in Ritualen und Zeremonien erstarren. Buddhas Lehre ist in ihrer Umsetzung vielleicht die schwierigste. 

 

Jesus geht vom jüdischen Gottesglauben aus, stellt jedoch Menschlichkeit über Gesetze (Sabbat). Er ist durchaus liberaler als frühere Propheten, an einen richtenden und verdammenden Gott (Hölle) aber glaubt er noch. Beide haben selbst nichts zu Papier gebracht. Wir kennen ihre Lehren nur aus der Überlieferung ihrer Anhänger. Im Falle Buddhas ist das weniger problematisch, weil es eigentlich ein Seminar über die Zusammenhänge zwischen Begehren, Anhaften und Leiden ist und kein Glaube. Während die Jesusüberlieferung auch Absurditäten beinhaltet wie kitschige Wunder, Opfertod, leeres Grab, eine Auferstehung getrennt von Himmelfahrt, wie das? Und eine apokalyptische Aussage, die nicht eingetroffen ist. Nämlich das nahe bevorstehende Reich Gottes auf Erden noch zu seinen Lebzeiten. Vieles was das Christentum ausmacht geht nicht auf Jesus, sondern auf die Theologie des Paulus zurück.

 

Für Paulus war der geistig erhöhte und auferstandene Christus des Glaubens das wichtigste. Eine fiktive Figur, der irdische interessierte ihn nicht. Über diesen wissen wir daher nur sehr wenig. Aber wäre der historische detaillierter überliefert vorgelegen, hätten viele Missverständnisse, Widersprüche und unsinnige Dogmen erst gar nicht entstehen können. Die Schwierigkeit des Neuen Testaments besteht darin, dass es ein Mix aus möglicherweise echten Jesusworten und erst nach seinem Tod entstandenen Interpretationen über ihn ist. Das wurde so vermengt, dass es heute kaum mehr möglich ist zu unterscheiden was ist Jesus original und was ist Glaube oder Erfindung (Zutat) der Schreiber. Schade dass es Im Umfeld des historischen Jesus keine neutralen (gelehrten) Personen gab die ihn hätten befragen können, um seine Dokumentation für die Nachwelt nicht nur den gläubigen Anhängern zu überlassen. Er interessierte sich offenbar auch nicht für solche Gesprächspartner, oder sie nicht für ihn. Wurde er übersehen, weil er nicht so bekannt war wie heute angenommen? So blieb alles in seiner Bubble. Paulus ist Jesus nie begegnet und die Evangelien wurden erst Jahrzehnte nach seiner Kreuzigung verfasst. Deshalb ist es durchaus möglich, dass er anders dargestellt wurde als er in Wirklichkeit war.

Um Missverständnisse vorzubeugen, ich bin kein Anhänger der Lehre Buddhas, in gleichem Maße wie ich mich nicht als Christ bezeichnen würde. Ich bin der Ansicht, dass ethisch verantwortliches Handeln unabhängig von einer Religion oder einer bestimmten Lehre möglich ist. Menschen tun Gutes und Böses mit und ohne Religion. Schauen wir uns an was von ihren Botschaften vernünftig erscheint und was nicht. Buddha hat als erster erkannt, dass der Mensch nicht dadurch gut wird, dass er sich einer Religion oder einem Glauben verschreibt.  

Er empfiehlt (sinngemäße Übersetzung):

Glaube nichts, weil es alt ist, weil andere es glauben 

oder weil es geschrieben steht. Glaube auch nichts

auf bloßes Hörensagen oder weil es ein heiliger Man sagt.

Was nach eigener Erfahrung und Untersuchung
mit Deiner Vernunft übereinstimmt
und zu Deinem eigenen Wohle und Heile 
wie zu dem aller anderen Wesen dient,
das nimm’ als Wahrheit an und lebe danach.

Das ist eine klare Absage an bloßes Nachfolgen und zugleich eine Aufforderung oder Ermutigung zur Eigenständigkeit. Es ist auch das glatte Gegenteil der Botschaft von Glaubensreligionen, die die Menschen mit einer göttlichen Obrigkeit knechten wollen. Und er rät Hass mit Nicht-Hass zu begegnen, weil Hass immer Hass erzeugen wird. Das ist überraschend modern und ähnelt schon der Aufklärung des 18.Jahrhundert.

 

 

 

 

Noch etwas zu Karma, das ja auch immer mit Buddhas Lehre verbunden wird. Er hat es modifiziert vom Hinduismus übernommen. Ein Kastenwesen lehnte er allerdings ab. Das Kastenwesen ist übrigens keine notwendige Folge von Karma. Es lässt sich aus ihm kein Zwang ableiten, warum jemand nur einen bestimmten Beruf ausüben oder in einem bestimmten Milieu heiraten darf. Das sind gesellschaftlich auferlegte Zwänge die auf ein Missverständnis zurückzuführen sind. Das Karma-Gesetz besagt, jedem widerfährt das, was er aufgrund früherer Leben verdient hat in Form einer Art Rahmenbedingung oder Lektüre in seinem aktuellen Leben, die er zu bewältigen hat. Je nachdem, wie er damit umgeht (und das ist das Wesentliche), erwartet ihn in einer nächsten Inkarnation eine dementsprechend modifizierte Ausgangslage. Es ist also kein bloßer Determinismus, wie oft gefolgert wird, weil es auf das Verhalten des Einzelnen ankommt. Ein gewisser Freiheitsspielraum muss sein. Irgendwie logisch, denn sonst wäre Karma ein sinnloser Kreislauf ohne Möglichkeit der Veränderung. Schon deshalb muss das Kastenwesen ein Missverständnis sein. Die Verbindung des Individuums zu seinen verschiedenen Leben bleibt allerdings unklar. In den buddhistischen Schriften heißt es, der Wiedergeborene ist nicht dieselbe Person noch ein andere, es ist bloße Kontinuität in anderer Form. Wie der erwachsene Mensch nicht mehr dieselbe Person ist, die er als Baby war, aber auch keine andere. Bei letzterem leichter nachvollziehbar als bei den verschiedenen Leben. Erwachsene können sich bis in ihr Kindesalter zurückerinnern, nicht aber an ein früheres Leben. Damit hängt die Frage zusammen: Ist vor der Geburt und nach dem Tod der gleiche Zustand?

 

Die Frage, die Karma aufwirft ist, gibt es einen vorbiologischen Ursache- und Wirkungszusammenhang der bestimmt, warum ich gerade in diese und nicht in eine andere Situation hineingeboren wurde (ethnisch, geografisch, sozial)? Zu dieser Frage haben wir keinen Zugang. Und es einfach zu glauben hätte keine Bedeutung, selbst wenn es wahr wäre. Das ist übrigens mit allen religiösen Inhalten so. An etwas glauben kann beruhigen oder trösten, aber es ist deshalb noch nicht unbedingt eins mit mir, sondern meist noch eine Vorstellung an die ich bloß glaube. Eine alte Weisheit besagt, dass der Unterschied  zwischen Glauben und Wissen in der Unio Mystica aufgehoben ist. Echte Mystiker glauben nicht an etwas, sie sind es. Das mag auf einige wenige zutreffen, aber für die allermeisten von uns liegt das außerhalb ihrer Reichweite. Als ich in meiner Jugend zum ersten mal von Karma hörte, kamen mir diese Ideen gerechter und moderner vor als das christliche Schuld- und Sühnedenken. Denn Karma wäre dann eine Art kosmische Logik und würde einen personal gedachten Gott der Rache erübrigen. Heute sehe ich darin eher Schwierigkeiten. Denn es wäre zutiefst anmaßend und zynisch jemand vorzuhalten, ja bloß daran zu denken, was ihm jetzt widerfahre, sei die Ernte eines (seines) früheren Lebens. Man denke an Unfälle, Naturkatastrophen, Armut, Krankheiten, Behinderungen. Oder gar an den Holocaust, der von rechtslastigen Esoterikern tatsächlich als Folge früherer kollektiver Untaten der Juden hingestellt wurde. Das ist besonders perfide und geht gar nicht. So gerecht Karma auf den ersten Blick erscheint, so problematisch ist es auf den zweiten. Doch Wiedergeburt kann wie die Vorstellung eines Himmels auch trösten. Das ist wohl der Grund warum sich beide Optionen aufrecht erhalten. Beide lassen sich nicht beweisen, wobei das Erstere für mich plausibler erscheint.

(7) Nächstenliebe kommt schon bei Levitikus (AT) vor, dort aber auf das Volk Israel bezogen. Man will ja Jesus zugestehen, dass er sie universal gemeint hat, aber dann hätte er über den provinziellen Gott Israels, der ein Stammesgott mit partikularen Interessen war, weit hinausdenken müssen. Vielleicht hat er es auch, geht aber aus den Evangelien nicht eindeutig hervor. Ich bin nur für die verlorenen Schafe Israels da, heißt es an einer Stelle. Man kann vielleicht das Vergeben als genuin jesuanisch bezeichnen. Es wird nirgendwo anders so betont. Paradoxerweise braucht sein Gott ein Blutopfer um Sünden vergeben (vergelten) zu können. Jedenfalls laut der Schrift. Da ist er schon weiter.

 

Nächstenliebe ist fraglos edel, wenn sie universal verstanden wird. Aber stets jeden Nächsten so zu lieben wie sich selbst und auch noch seine Feinde kann von niemand umgesetzt werden; gleicht einer Fußabstreifer-Mentalität und brächte einen zudem in Gefahr ausgenutzt zu werden. Das Rigorose dieser Forderung macht sie unpraktikabel. Wichtig ist doch seinen Nächsten fair zu behandeln und zu achten, lieben kann man nicht jeden. Galt seine Nächstenliebe auch den Heiden? Das ist aufgrund anderer Jesusworte (Siehe oben) nicht so klar. Seine Welt war die jüdische. Ob er über deren Tellerrand hinaussah, etwa die griechische Literatur kannte, ist nicht bekannt. Manche seiner Aussagen lassen ihn als Apokalyptiker erscheinen. Beim Reich Gottes auf Erden irrte er sich jedenfalls, denn es kam nicht. Zum Glück, kann man da nur sagen, denn das hätte vermutlich ein entsetzliches Richten bedeutet. 

 

Auch Jesus ist nicht durchgehend für Nächstenliebe. Beim Glauben hört der Spaß auf. "Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden", lässt Markus seinen Jesus verkünden. Nur wenige sind auserwählt. Die Böcke werden von den Schafen getrennt, die ersten kommen in die Hölle (anscheinend für alle Ewigkeit), die anderen ins Himmelreich, sagt er bei Matthäus. Die Verkündung einer so harten Gerichtsbarkeit beißt sich mit dem Attribut Gott ist die Liebe und seiner eigenen Nächstenliebe, geschweige denn Feindesliebe. Anders- und Nichtgläubige, was heute unter Meinungsfreiheit und Toleranz fallen würde, werden demnach für ewig gerächt. Was hier bestraft wird ist weniger moralisches Fehlverhalten gegenüber dem Mitmenschen als der Ungehorsam gegenüber einem vorgegebenen Gott, was schon im Alten Testament die Hauptsache war. Aber auch ein sogenannter Heide ist zum gut sein befähigt und hat keine Verdammung per se verdient. Ein rächender und verdammender Gott der Gehorsam verlangt, ist kein brauchbares ethisches Vorbild. Den Gegensatz Glaube gleich Errettung/Nichtglaube gleich Verdammung haben die drei monotheistischen Religionen gemein, was auch Intoleranz beinhaltet.

 

Ein Himmel als Belohnung im Jenseits, Lockmittel der Religionen, bedient unsere Sehnsucht nach einem Fortleben, denn wir können uns schwer damit abfinden nicht mehr zu sein. Wir können kein Nichtsein denken. Aber unser sinnliches Bewusstsein endet mit dem Tod. Auch ohne Körper noch Freude und Leid empfinden zu können ist nach gängigem Verständnis nicht möglich (außer man glaubt an Astralkörper und dergleichen), denn was freut sich oder leidet wenn es kein Bewusstsein (Gehirn, Nerven) mehr gibt? Wir wären ja dann unsichtbare Geistwesen. In diesem Zustand könnten wir überall sein, auch auf Erden, und brennbar wären wir auch nicht. Humor darf sein. Natürlich kann niemand wissen ob etwas und was von uns überdauert. Doch dass dies irgendetwas ist was wir mit unserem jetzigen Bewusstsein als Person erfahren könnten finde ich absurd. Oder anders ausgedrückt, es mag etwas von uns überdauern (Karma?), das vermute ich sogar, aber kann unser jetziges Ich, das dann ja stirbt, das erleben? Tatsache ist jeder muss physisch und ideologisch sterben, was jenseits davon ist bleibt für uns ein Mysterium und das ist auch gut so.

Nun hat Jesus auch hoch ethisches von sich gegeben. Da fragt man sich, wozu er eigentlich noch diesen rächenden Gott braucht, wenn er selbst schon weiter ist? Die Geschichte von der Ehebrecherin etwa, mein Favorit bei Jesus, ist ein echter Aufruf zur Menschlichkeit. Wer fehlerfrei ist, um das Wort Sünde zu vermeiden, der werfe den ersten Stein. Hier geht es um Vergeben können und Einfühlungsvermögen in das Geschick anderer und vor allem um das Verhindern eines Mordes. Das ist wahre Humanität. Ihre Echtheit wird jedoch angezweifelt, weil sie in älteren Ausgaben des Johannesevangeliums nicht enthalten ist. Offenbar ein späterer Einschub. Ob echt oder nicht, Hut ab vor dem der sie geschrieben hat. Die Jesusüberlieferung hat viele Schichten durchlaufen, manches wurde gestrichen oder dazu erfunden. So soll es schriftliche Berichte (Apokryphen) gegeben haben, dass Jesus Vegetarier war, die aber bei der Kanonisierung der Evangelien durch die Kirche im vierten Jahrhundert aussortiert und verbannt wurden. Sie galten als unecht. Der wahre Grund war wohl, man wollte nicht auf Fleisch verzichten. Man bedenke, erst heute im 21. Jahrhundert setzt sich vegetarisch/vegan allmählich in der Breite durch. Wenn Jesus Vegetarier war, würde auf seine Tempelreinigung ein ganz anderes Licht fallen. Ihn hätten dann die Tieropfer aufgebracht, weswegen Händler und Geldwechsler ja da waren. Nur dann würde seine Empörung Sinn machen. Was der historische Jesus wirklich sagte und wollte ist auch deswegen unklar, weil es kein schriftliches Zeugnis von ihm gibt. Sich auf Mundpropaganda zu verlassen war nicht sehr vorausschauend. Frühere Philosophen wussten besser wie man seine Anliegen unverfälscht erhält, indem man sie entweder selbst niederschreibt oder autorisiert niederschreiben lässt.

 

Der einzig wertvolle Aspekt im Neuen Testament ist für mich die Vergebung gegenüber meinem Nächsten. Nicht durch einen Gott, denn was der mir vergibt kann ich nicht wissen, ist rein spekulativ. Vergeben können macht nur Sinn von Mensch zu Mensch. Möglicherweise ist dies auch das wirklich Neue an Jesus, denn die Nächstenliebe kommt wie schon gesagt auch im AT  vor. Obwohl Jesus dieses menschliche Vergeben etwa bei der Ehebrecherin praktiziert, was ihn barmherzig und sympathisch macht, hat sein Gott ein rächendes Endgericht im Visier, das auch er zu teilen scheint. Jedenfalls laut Evangelien. 

 






(8) Das Neue Testament hat aber auch noch etwas anderes bewirkt, was gerne übersehen wird. So haben herabsetzende Bemerkungen über Juden und das jüdische Volk folgenschwere historische Konsequenzen ausgelöst. Man kann sagen, die Wurzeln des europäischen Antisemitismus liegen im Neuen Testament. Schon Paulus wirft seinem Volk vor Jesus umgebracht zu haben (sicherlich geschah dies durch Menschen), lehrt aber zugleich, er sei nach einem göttlichen Heilsplan für unsere Sünden gestorben. Wer einen Widerspruch erkennt liegt nicht falsch. Vor allem aber ist es die Darstellung des Juden Judas, der in die Weltgeschichte einging als Verräter aus niederen Beweggründen, wegen ein paar Silberlingen, und auch noch so heißt wie sein Volk. Schon hier wird er mit Feilschen und Raffgier in Verbindung gebracht, spätere Hauptvorwürfe des Antisemitismus. Matthäus lässt im Zusammenhang mit der Hinrichtung Jesu das Volk brüllen: "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder", auch Blutruf genannt, um den Wunsch der Juden zu bekräftigen Jesus zu kreuzigen. Eigentlich eine unverständliche, gegen sich selbst gerichtete Aussage, so sie denn überhaupt gefallen ist. Man trifft eine Entscheidung im Wissen dass sie Unheil über mehrere Generationen bringen wird. Der Masochismus lässt Grüßen! Der Ausspruch wurde später gern als Rechtfertigung für antisemitische Verfolgungen benutzt, weil er sich als Schuldgeständnis eignet.

Und Johannes lässt seinen Jesus sagen ihr (die Juden) habt den Teufel zum Vater. Ob er das so sagte oder nicht, Fakt ist, alle diese Worte dienten als Beweis, dass die Juden Christusmörder waren und führten im Mittelalter zunächst zu einem christlichen Antijudaismus mit teils makabren Anschuldigungen. Besonders die Figur des Judas war prägend für den Judenhass. Dass Juden eine besondere Neigung zu eigennützigen Geldgeschäften und zur Wucherei hätten, war ein Vorurteil des christlichen Antijudaismus, das sich durchsetzte. Eine Gruppe an der man die negativen Aspekte des Geldhandels abladen konnte war gefunden, was bis heute geglaubt wird. Martin Luther rät in seiner Schrift "Von den Juden und ihren Lügen" (1543) schon zu ähnlichen Methoden wie die Nazis vierhundert Jahre später. Sein angeblich misslungener Versuch die Juden zu missionieren kann dafür keine Entschuldigung sein. Richard Wagner war musikalisches Genie und Antisemit aus Verherrlichung der germanisch-nordischen Mythologie. Will sagen das kam gar nicht nur von Vorurteilen ungebildeter Schichten. Zu Kaiser Wilhelms Zeiten neigten neben dem Militär auch weite Teile des gebildeten Bürgertums zu einem zumindest latenten Antisemitismus. Viele Juden waren damals erfolgreiche Geschäftsleute oder gehörten zu den führenden Köpfen in der Wissenschaft. Und sie waren Deutsche und bekannten sich auch dazu. Eine Mischung aus Antisemitismus und Neid herrschte gegenüber diesen Menschen. Man war unfähig sie als Teil der eigenen Kultur zu begreifen. Ohne diese unterschwellige Bereitschaft in großen Teilen der Bevölkerung wäre der Holocaust der Nazis gar nicht möglich gewesen, denn dazu brauchten sie tausende Mithelfer und viel mehr Mitwisser als nach der Katastrophe zugegeben wurde. Antisemitismus indessen ist bis heute ein Problem, weil einige noch immer meinen zwischen Juden und Nicht-Juden unterscheiden zu müssen. Immer noch kursieren Verschwörungstheorien und werden Sündenböcke für gewisse Entwicklungen gesucht. Doch ohne die oben erwähnten Bibelstellen hätte zumindest der europäische  Antisemitismus in diesem Ausmaß nicht entstehen können. Das wird gerne verdrängt, kann (darf) doch die heilige Schrift, die vielen als Gottes Wort gilt, nichts schlechtes enthalten oder bewirken. Aber die Bibel wurde von Menschen geschrieben und enthält auch manches Ungute. Der islamische oder arabische Antisemitismus ist dann noch eine andere Spielart obendrauf.

 

 



 
 
(9) Kommen wir zurück zu Jesus von dem nicht einmal klar ist für was er sich selbst gehalten hat. Vielleicht war er nur ein guter Mensch, moralischer Wegweiser (anstatt Gottes Sohn), und hitzköpfiger Prediger.
 Mahner zur Umkehr, was ihn ehrt, den einige für einen gefährlichen Aufrührer hielten, wodurch er sein Leben verlor. Nüchtern betrachtet wurde er von den Römern, seinen Landsleuten oder von beiden angeklagt und umgebracht. Also von Menschen und deren Ordnungsregeln. Dass dahinter ein göttlicher Plan stecken soll ist wohl eher ein Ausdruck der Verzweiflung plus religiöser Fantasie. Für die ersten Anhänger war es verständlicherweise schwierig sich einen Reim auf diesen frühzeitigen und unerwarteten Tod zu machen. Konnte oder wollte das Gott nicht verhindern, war er etwa nicht allmächtig oder nicht allgütig? Sie waren schockiert und verzweifelt. Es musste ein höherer Sinn gefunden werden der diese Zweifel überbrücken konnte. Diesen fanden sie (insbesondere durch Paulus, der als der eigentliche Konstrukteur des Christentums gilt) indem sie seine Hinrichtung als von Gott gewollt umdeuteten, um die Sünden der Menschheit zu vergeben. Ferner musste seine (leibliche) Auferstehung erfunden werden, um ihn als Überwinder des Todes und damit letztlich als Sieger in diesem Szenario darstellen zu können. Damit konnten sie leben und es ermöglichte überhaupt erst die Gründung eines Christentums, weil die Schmach Jesus sei gescheitert durch seine behauptete Auferstehung abgewendet und dem unverständlichen Ereignis ein Sinn gegeben wurde. 
Man merkt diesem Konstrukt bis heute seine Geburt aus der Not an. Demnach hätte es keinen Schuldigen am Tod Jesu gegeben. Judas, das wütende Volk, der Hohe Rat und Pilatus wären dann nur Werkzeuge eines göttlichen Willens gewesen.

Aber was für eine Story wird uns da zugemutet! Ein Gott opfert seinen unschuldigen Sohn als Liebesakt an die Menschheit um deren Sünden zu vergeben. Was für ein Widersinn! Warum sollte denn ein Allmächtiger ein grausames Blutopfer benötigen um vergeben zu können, während Jesus selbst ein echtes Vergeben ohne Bedingungen lehrte? Hier handelt es sich offenbar um eine Anleihe der Menschenopfer aus archaischen Religionen. Nach dem Motto, Götter brauchen von Zeit zu Zeit ein Blutopfer um besänftigt zu werden. Ein Gott müsste sich das eigentlich verbitten, weil es ihn zu einem primitiven Übeltäter machen würde. Wären wir nicht über Jahrhunderte an diese Erzählung gewöhnt, würden wir sie sofort abscheulich finden und in den Bereich des Aberglaubens verorten. Wie überhaupt das von Kind auf einbläuen die Hauptursache der Hartnäckigkeit von irrationalen religiösen Überzeugungen ist. Auf einen kurzen Nenner gebracht, ein grausames Blutopfer lässt sich nicht mit einem liebenden und barmherzigen Gott vereinbaren. Das ist das Problem, das auch keine noch so spitzfindige theologische Auslegung ausräumen kann. Am wenigsten die, dass Gott die Menschen so sehr liebte, dass er sich selbst in Form seines Sohnes für sie hingab. Absurder geht es nicht mehr!  "Jeder Mensch von Vernunft (so ihn sein Glaube an deren Gebrauch nicht hindert) hält es für einen inakzeptablen Gedanken, dass Jesus vor zwei Jahrtausenden in seinem Kreuzestod Schuld und Strafe aller Menschen - der damals lebenden, der damals bereits verstorbenen und der künftigen, also auch der heutigen - auf sich genommen und beseitigt haben soll", so der Neutestamentler Werner Zager. Zitiert aus Rudolf Augsteins Jesus Menschensohn.

Fazit: Das historische Wirken Jesu endet mit seinem Tod. Alles was danach geschrieben und behauptet wurde ist Interpretation über ihn, insbesondere die Deutung seiner Hinrichtung und die Auferstehungslegenden. Christ konnte er noch nicht sein, weil er deren Reim über ihn nicht kennen konnte. Er hat nichtsdestoweniger einen mächtigen Impuls auf die Welt ausgeübt. Hat das nach ihm benannte Christentum die Welt besser gemacht? Meine Antwort hierauf ist zögernd. Man ist schnell dabei das karitative Engagement der Kirchen und die Kunst der Kathedralen zu loben. Das ist auch gerechtfertigt. Doch die autoritären Herrschaftsansprüche, Glaubenskriege, blutigen Missionen an fremden Völkern, Ketzer- und Hexenverbrennungen und das Behindern und Verurteilen eigenständigen Denkens über die Jahrhunderte, wiegen schwer. 

 

(10) Gibt es einen freien Willen? Je tiefer man in diese Frage eindringt, desto schwieriger wird sie. Schon deshalb, weil nicht klar ist, von was ein freier Wille eigentlich frei sein soll. Ein völlig ursachenfreier Willensakt ist ebenso schwer vorstellbar wie sein Gegenteil ein völlig unfreier, determinierter. Was wir im Alltagsleben unter freiem Willen verstehen ist gefühlte Entscheidungs- und Handlungsfreiheit. Sie wird als ausreichend wahrgenommen, was sie auch ist, denn wir kennen nichts anderes. Doch das Thema ist philosophisch betrachtet komplexer. Hätte ich mich vor zwei Stunden auch anders entscheiden können? Ja natürlich sagt man im ersten Moment. Aber es ist nicht wirklich zu beantworten weil es bereits Vergangenheit ist. Schopenhauer hat das ausführlich diskutiert und festgestellt: "Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will". Im praktischen Leben spielt das wie gesagt keine Rolle, denn wir empfinden uns nicht als Wesen die sich nicht frei entscheiden können. Oder anders gesagt, wir leiden nicht darunter.

Am wahrscheinlichsten ist, wir haben eine gewisse, partielle oder relative Willensfreiheit im Rahmen unserer persönlichen Bedingtheit. Diese (Bedingtheit) besteht aus den Mechanismen der Psyche und des Gehirns die in uns ablaufen, und unseren gespeicherten Erfahrungen (Verletzungen) aus denen heraus wir Entscheidungen treffen. Vielleicht befinden sich ja der geniale Einfall, die plötzliche Einsicht außerhalb dieser Mechanismen? Jedenfalls kommen sie anders zustande als eine Wahl oder eine überlegte Entscheidung. Sie tauchen blitzartig auf und sind nicht das Ergebnis von Aussuchen oder Reflexion. Gäbe es in uns keinen Freiheitsspielraum, wären wir wie Roboter. Vergleiche Karma.

 

 






(11) Religion und Philosophie gibt es, weil es den Tod gibt. Was danach ist wissen wir nicht, nur das wir nicht mehr physisch existieren. Religion überbrückt das mit einem Jenseitsversprechen (Himmel, ewiges Leben) das sich der Mensch selbst erhofft und herbeisehnt, um seine Ungewissheit und die damit verbundene Angst zu verdrängen. Man hofft auf eine Belohnung nach all den erlittenen Ungerechtigkeiten, das ist menschlich. Ferner macht man missverständlicherweise den Sinn des Lebens davon abhängig, ob etwas danach kommt. Jedenfalls verleitet die Vorstellung eines Himmels dazu. Trotzdem kann man die Frage stellen, ob ein Gott jemals ein solches Versprechen gegeben hat, denn ein authentisches Wort Gottes gibt es nicht. Heilige Schriften stammen von Menschen die glaubten oder vorgaben von einem Gott inspiriert zu schreiben. Aber Menschen können sich irren, sich etwas einbilden oder etwas für wahr halten was nur ihren Wünschen entspricht. Ein allwissender Gott müsste wissen, dass ein Himmel als Belohnung die Menschen fehlleiten würde. Denn ihr Hauptmotiv wäre dann in den Himmel zu kommen anstatt gut zu sein um seiner selbst willen. Würde er so funktionieren, wäre er auf der Stufe der Menschen.

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